Gewebe-Matrix aus Nanofasern

(Nanowerk News) Dreidimensionale Gerüste, auf denen Zellen sich ansiedeln und zu Geweben oder Organen heranwachsen können, sind in der regenerativen Medizin begehrt. Materialwissenschaftler der Universität Würzburg haben dafür erfolgreich neue Fasern mit ganz besonderen Eigenschaften entwickelt.
Die Anforderungen an sie sind hoch: Im menschlichen Körper eingesetzt, müssen sie rückstandslos abbaubar sein – und das nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam. Nur ganz bestimmte Zellen sollen sich auf ihnen ansiedeln, untereinander verbinden und zu komplexen Strukturen heranwachsen. Andere Substanzen hingegen, beispielsweise Proteine und Zellen aus dem Blut, sollen ihnen fern bleiben.
Die Rede ist von extrem dünnen Polymerfäden, die zu Netzen oder dreidimensionalen Strukturen verwoben werden können. Professor Jürgen Groll erforscht solche Materialien, die in der Medizin zum Einsatz kommen sollen. Seit August dieses Jahres leitet er den Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe in der Medizin und der Zahnheilkunde der Universität Würzburg. Jetzt hat er eine vielversprechende Neuentwicklung der Öffentlichkeit präsentiert. Die renommierte Fachzeitschrift Nature Materials berichtet darüber in ihrer aktuellen Ausgabe ("Degradable polyester scaffolds with controlled surface chemistry combining minimal protein adsorption with specific bioactivation").
Extrem dünne Fäden wachsen im elektrischen Feld
"Es ist uns gelungen, eine Technik zu entwickeln, die solche Fasern in einem einzigen Arbeitsschritt herstellt", sagt Groll. Ultradünne Polymerfasern zu produzieren: Das war bisher schon möglich. "Electrospinning" heisst die dahinter steckende Technik. Das Prinzip: An eine Flüssigkeit wird ein elektrisches Feld angelegt, das dünne "Jets" erzeugt. Die Fasern, die dabei entstehen, sind äusserst dünn – bis zu zehn Nanometern, also dem Hunderttausendstel eines Millimeters.
Groll und seine Mitarbeiter haben diese Technik jetzt einen deutlichen Schritt voran gebracht. Sie haben ein besonderes Makromolekül entwickelt. Gibt man dieses Molekül in die Flüssigkeit, aus der die Fasern hergestellt werden, verändert sich deren Oberfläche radikal. "Dieses Molekül verwandelt die an und für sich wasserabstossenden Fasern in ‚hydophile', also wasseranziehende Fasern", erklärt Groll. Damit unterdrückt es die Anlagerung unerwünschter Proteine an der Faseroberfläche.
Dass sich Proteine unkontrolliert an Polymerfäden anlagern, ist in der Medizin ein gefürchteter Effekt. Er tritt normalerweise sehr schnell auf, wenn Materialien in den Körper eingesetzt wird. "Auf den hydrophoben Oberflächen werden die Proteine schnell denaturiert", sagt Groll. Dadurch besteht die Gefahr, dass das Immunsystem aktiviert wird und die Wundheilung gestört – alles unerwünschte Nebenwirkungen. "Deshalb ist es äusserst wichtig, die Anlagerung solcher Proteine zu verhindern", so der Polymerchemiker.
Baugerüst für körpereigene Zellen
Andere Anheftungen sind hingegen mehr als erwünscht: Körpereigene Zellen sollen sich an den Faserstrukturen anlagern, untereinander verbinden und zu einer kompakten Struktur heranwachsen. Auf diese Weise können Mediziner beispielsweise dem Körper dabei helfen, grossflächige Verletzungen schneller wieder zu schliessen. Im Labor arbeiten Wissenschaftler daran, mit Hilfe dieser Fasern neue Gewebe, möglicherweise sogar neue Organe zu produzieren. Dazu "basteln" sie mit den Polymerfäden dreidimensionale Gerüste in der benötigten Form, auf denen sich anschliessend die gewünschten Zellen ansiedeln – beispielsweise Leberzellen, wenn es darum geht, eine neue Leber herzustellen, oder Knorpelzellen, die Ersatz für zerstörte Gelenkoberflächen schaffen sollen.
Der Vorteil solcher Implantate liegt auf der Hand: Weil sich das neue Organ aus Zellen des jeweiligen Patienten entwickelt hat, kommt es nach der Implantation zu keiner Abstossungsreaktion. Auf eine medikamentöse Therapie, die heutzutage nach Fremdtransplantationen zwingend erforderlich ist, kann deshalb verzichtet werden. Und die Fasern werden nach wenigen Monaten rückstandslos abgebaut.
Neue Organe wachsen im Labor
"Je nachdem, welche Zellen sich an den Fasern anlagern sollen, geben wir ihnen die entsprechenden bioaktive Peptide auf der Oberfläche mit", sagt Groll. Diese sorgen dafür, dass genau die Zellen angelockt werden, die im jeweiligen Fall benötigt werden.
Mit der von Groll und seinen Mitarbeitern entwickelten Technik lassen sich jetzt deutlich schneller als bisher Fasern und Faserstrukturen herstellen und mit den unterschiedlichsten Eigenschaften versehen. Groll ist überzeugt davon, dass es diese Technik schon in naher Zukunft möglich macht, im Labor Strukturen zu konstruieren, auf denen komplexe Gewebe wachsen können.
Source: Julius-Maximilians-Universität Würzburg