Posted: December 22, 2009

Atome in der Quantenschaukel

(Nanowerk News) Was Max-Planck-Physiker mit einem Atom machen, erinnert an manche Szene auf einem Spielplatz: Wie ein Vater seinem Kind auf einer Schaukel Schwung gibt, stoßen Forscher des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik ein Atom an. Allerdings bremsen sie die Schwingungen des Atoms mit gezielten Schubsern, so als würde der Vater sein schaukelndes Kind mit sanften Stößen stoppen. Dafür nutzen die Wissenschaftler intensive Laserstrahlen, deren unzählige Photonen eine Kraft auf das Atom ausüben. Die Laser steuern sie mit einem sehr schnellen Rückkopplungsmechanismus, je nachdem wohin sich das Atom gerade bewegt. So halten sie das Atom bis zu 4 Mal länger in einem Resonator, den zwei einander gegenüberliegende Spiegel bilden, als ohne Rückkopplung. Auf diese Weise eröffnen sie die Möglichkeit, ein Atom so weit zum Stillstand zu bringen, wie es die Gesetze der Quantenphysik zulassen ("Photon-by-photon feedback control of a single-atom trajectory").
Manche Grenzen sind unüberwindlich - zum Beispiel das Heisenberg-Limit, das auch als Heisenberg’sche Unschärferelation bekannt ist. Demnach lassen sich der Ort und der Impuls, also die Geschwindigkeit eines Teilchens gleichzeitig niemals vollkommen präzise bestimmen. In der Praxis bedeutet das, ein Atom lässt sich nicht absolut zum Stillstand bringen, weil sein Ort und seine Geschwindigkeit dann genau festgelegt wären. Doch diese Grenze ist nicht nur unpassierbar, es bereitet Physikern große Probleme, sich ihr überhaupt zu nähern. Genau das möchten sie aber, da sie dort die Gesetze der Quantenphysik besonders gut studieren könnten. "Bis dahin ist es zwar noch ein weiter Weg, aber uns ist dorthin jetzt ein weiterer Schritt gelungen", sagt Karim Murr, der an den Arbeiten am Max-Planck-Institut für Quantenoptik als einer der leitenden Wissenschaftler beteiligt war.
Regelkreis für eine Atom-Bremse
Regelkreis für eine Atom-Bremse: Ein einzelnes Atom zwischen zwei Spiegeln verrät seine Position, indem es einen Laserstrahl abschwächt. Dessen Photonen (gelbe Wellenpakete) werden in elektrische Pulse umgewandelt (gelbe Kügelchen), die von einer Regelungselektronik in Echtzeit ausgewertet werden. Der resultierende elektrische Strom (blaue Kügelchen) wiederum reguliert die Intensität eines blauen Lasers. Dieser Regelkreis schaukelt das Atom in Abhängigkeit von seiner jeweiligen Position. (Bild: MPI für Quantenoptik)
Die Physiker haben einen Trick ersonnen, der sie an die Heisenberg-Grenze bringen könnte. Sie haben nämlich einen Weg gefunden, die Bewegung eines Atoms zu verfolgen und in einem Rückkopplungsmechanismus dementsprechend eine Bremse anzuschalten.
Ihr Experiment beginnen die Forscher, indem sie eine Wolke neutraler Rubidiumatome auf einige Tausendstel Grad über dem absoluten Nullpunkt der Temperatur von minus 273,16 Grad Celsius abkühlen. Als Kühlmittel benutzen sie Laserstrahlen, deren Photonen Druck auf die Atome ausüben und sie so bremsen, also abkühlen. Die kalte Wolke schießen sie in einer Art Springbrunnen in einen Resonator. Der Resonator besteht aus zwei extrem gut reflektierenden Spiegeln im Abstand von ungefähr einem Zehntel Millimeter.
Sobald ein einzelnes Atom im Resonator ankommt, wird es von einer "optischen Pinzette" eingefangen. So bezeichnen die Physiker die stehenden Lichtwellen von Laserstrahlen, die zwischen den Spiegeln reflektiert werden. Da das Atom aber extrem empfindlich auf kleinste Kräfte reagiert, kann die optische Pinzette das Atom nicht vollkommen festhalten, so dass das Teilchen mehr oder weniger stark hin und her schwingt. Es schwingt aber nicht so schön regelmäßig wie ein Pendel, sondern mal schneller und mal langsamer - und zwar in unvorhersagbarer Weise.
"Wenn wir das Teilchen effektiv bremsen wollen, müssen wir aber wissen, ob es gerade dabei ist, aus dem Resonator zu entkommen oder ob es sich gerade in seinem Zentrum aufhält", sagt Alexander Kubanek, der an dem Experiment in der Abteilung von Gerhard Rempe maßgeblich beteiligt war. Dabei hilft ihnen ein zweiter Laser, der stark abgeschwächt wird, um das Atom möglichst wenig zu stören, und dessen Licht als Eingangssignal für die Rückkopplungsschleife dient. Diesen Laser richten Kubanek und seine Kollegen auf das Zentrum des Resonators und verfolgen damit die Bewegung des Atoms: Befindet sich kein Atom im Resonator, kann das Licht ungehindert durch ihn passieren. Falls sich das Atom genau in dessen Mitte aufhält, blockt es das Licht ab. Entfernt sich das Atom vom Zentrum und versucht, den Resonator zu verlassen, wird mehr Licht durchgelassen.
Wie das Atom seine Position ändert, schließen die Physiker also daraus, ob die Intensität des durchgelassenen Lichtes zu- oder abnimmt. "Wir zählen also, wie viele Photonen in zwei gleich langen aufeinanderfolgenden Zeitspannen durch den Resonator gelangen", erklärt Alexander Kubanek. Wenn er im zweiten Zeitabschnitt mehr Photonen registriert als im ersten, ist das Atom im Begriff, den Resonator zu verlassen. Um dies zu verhindern, fährt die Elektronik der Rückkopplung die Lichtintensität eines dritten Kontrolllasers hoch. Das Licht dieses Lasers treibt das Atom dann zurück zur Resonatorachse. Sinkt die Photonenzahl im zweiten Zeitabschnitt dagegen, nähert sich das Atom der Achse und die Intensität dieses Lasers wird heruntergefahren.
"Wichtig ist, dass der Rückkopplungsmechanismus von jedem einzelnen registrierten Photon ausgelöst wird", erklärt Alexander Kubanek: "Sobald die Zahl von Null auf Eins steigt, wird die Intensität des Kontrolllasers sofort hochgefahren, und zwar in einer Zeitspanne, die etwa 70 mal kürzer ist als die Schwingungsperiode des Atoms." Um auf die Positionsbestimmung zu reagieren benötigt die Elektronik der Rückkopplungsschleife nämlich nur knapp fünf Mikrosekunden, während ein Atom für eine Schwingung etwa 360 Mikrosekunden braucht. Die Rückkopplung spricht also in Echtzeit auf die Bewegung des Atoms an. Daher kann sie das Teilchen bremsen, und es 24 Millisekunden lang im Resonator halten. Ohne die gezielten Bremsstöße entwischt es nach sechs Millisekunden wieder. "Mit einer verfeinerten Technik haben wir das Atom sogar rund 250 Millisekunden im Resonator gehalten", sagt Kubanek.
"Damit die Rückkopplung funktioniert, müssen wir allerdings die Zeitintervalle richtig wählen, in denen wir die Photonen zählen", sagt Karim Murr: "Man kann sich das so vorstellen, als sähe ein Vater sein Kind auf der Schaukel nur in Stroboskop-Blitzen und müsste aus den einzelnen Bildern schließen, wann er das Kind anstoßen soll." Sind die Blitze zu kurz, erkennt er nicht, ob sich das Kind noch auf ihn zu bewegt oder schon wieder von ihm weg. Sind sie zu lang, kann der Vater zwar verfolgen, in welche Richtung das Kind unterwegs ist, bringt seinen Schubser aber wahrscheinlich erst an, wenn das Kind schon wieder in die andere Richtung schwingt.
Mit der rückgekoppelten Bremse können die Garchinger Physiker nicht nur die Speicherzeit für Atome im Resonator deutlich verlängern, ihr Experiment ist auch von ganz grundlegender Bedeutung. Es schafft nämlich ganz neue Möglichkeiten, den Ort eines einzelnen Atoms zu bestimmen und gezielt zu verändern. "Durch quasi-kontinuierliche Messungen lassen sich verlässliche Aussagen über den Ort des Atoms machen", betont Gerhard Rempe, Direktor am Max-Planck-Institut für Quantenoptik. "Das könnte es in Zukunft ermöglichen, individuelle Quantenbahnen mit einer Genauigkeit zu steuern, die nur noch durch Heisenbergs Unschärfe-Relation begrenzt ist." Ferner könnte es so gelingen, den Quantenzustand eines gefangenen Atoms gegen den verhängnisvollen Einfluss von Fluktuationen aus der unmittelbaren Umgebung zu schützen.
Source: Max-Planck-Gesellschaft