Neues Verfahren erlaubt Graphen-Produktion in grossen Mengen

(Nanowerk News) Dem Kohlenstoff gehört die Zukunft. Materialwissenschaftler sehen in dem Stoff, der in seiner reinen Form in der Natur als Graphit und Diamant vorkommt, enormes Potenzial, zum Beispiel für die Herstellung von Hochleistungswerkstoffen und molekularer Elektronik. Besonders vielversprechend erscheinen künstlich hergestellte Kohlenstoffstrukturen, deren physikalische und chemische Eigenschaften die Forscher gezielt beeinflussen können – wie das sogenannte Graphen.
Chemiker von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) haben jetzt ein Verfahren entwickelt, das die Produktion solcher Kohlenstoffkris­talle in grossen Mengen erlaubt. Den Forschern ist es gelungen, ohne mechanische Einwirkung isolierte Graphenschichten herzustellen und diese in nur einem weiteren Schritt mit massgeschneiderten Eigenschaften auszustatten. Ihre Forschungsergebnisse haben Prof. Dr. Andreas Hirsch und sein Doktorand Jan Englert jetzt in der renommierten Zeitschrift Nature Chemistry publiziert. (Vol. 3 No. 4, 2011)
Mit Hilfe von Alkalimetallen (blau) werden einzelne Graphenschichten von einem Graphitkristall abgespalten. Abstandshalter-Moleküle (gelb) verhindern, dass sich das Graphen wieder am Graphit anlagert
Graphen ist ein zweidimensionaler Kristall aus Kohlenstoff­atomen, die durch starke Bindungen in einer Honigwabenstruktur angeordnet sind. Mit Hilfe von Alkalimetallen (blau) werden einzelne Graphenschichten von einem Graphitkristall abgespalten. Abstandshalter-Moleküle (gelb) verhindern, dass sich das Graphen wieder am Graphit anlagert. (Grafik: Dr. Frank Hauke)
Diamant und Graphit zeigen jeweils eine Reihe von einzigartigen physikalischen Eigenschaften wie Härte, thermische und elektrische Leitfähigkeit, Gleitverhalten, die sich daraus ergeben, wie die Kohlenstoffatome zueinander angeordnet sind. Beim Diamanten liegen die Atome mit tetraedrischer Bindungsgeometrie vor, während im Graphit die Atome wie Honigwaben in flachen Schichten aus Sechsecken übereinanderliegen. Spaltet man eine Schicht dieser Graphitwaben ab, dann erhält man eine zweidimensionale Struktur – Graphen (mit der Betonung auf der zweiten Silbe). Im Vergleich zu anderen Kristallen hat Graphen aussergewöhnliche Eigenschaften, von denen erwartet wird, dass sie zu neuen Entwicklungen in der Mikro- und Nanoelektronik, Sensorik und Displaytechnologie führen werden.
Bisher konnte man Graphen nur mechanisch, zum Beispiel durch den Einsatz von spezialisierten Seifen und Ultraschall, in mehreren Einzelschritten herstellen. Jetzt gelang es Erlanger Forschern erstmals auf chemischem Weg, Graphenschichten von Graphit abzuspalten und in nur einem weiteren Schritt die Eigenschaften des neuen Materials zu verändern. Die Schwierigkeit in diesem Prozess ist, zu verhindern, dass sich die abgespaltene Kristallschicht sofort wieder am Graphit anlagert. Deshalb verankern die Chemiker Moleküle als "Abstandshalter" am Graphen. An diesen Abstandshaltern können die Forscher weitere Moleküle andocken, die dem Graphen ganz bestimmte physikalische oder chemische Eigenschaften verleihen. Mit der Entwicklung des neuen chemischen Verfahrens ist den Erlanger Forschern ein entscheidender Schritt gelungen, Graphen in grossen Mengen herzustellen – eine essenzielle Voraussetzung für die industrielle Weiterverarbeitung.
Praktische Einsatzmöglichkeiten für das synthetische Material gibt es viele: zum Beispiel in transparenten Elektroden für die Display- oder Solarzelltechnologie oder in Sensoren mit bislang unerreichten Empfindlichkeiten, die sogar einzelne Atome aufspüren können. Die Honigwabenstruktur von Graphen ist extrem strapazierfähig. So zeigt das Material entlang seiner Ebene eine herausragende Zugfestigkeit, welche die von konventionellem Stahl um mehr als das hundertfache übersteigt – und das bei einem Gewicht von nur ca. einem Gramm auf 1300 Quadratmeter (etwa der Fläche eines Wettkampfschwimmbeckens). Ein weiterer Effekt der atomaren Struktur betrifft die Ladungsträger selbst. Diese bewegen sich im Material so ungewöhnlich schnell, als besässen sie keine Masse und lassen auf Computer mit Taktraten hoffen, die hundertmal höher sind als die moderne Silizium-Technologie erlaubt. Noch verhindert die elektrische Leitfähigkeit der Graphene effektive Schaltprozesse und damit den Einsatz in modernen Computerchips.
An diesem Problem und anderen Fragestellungen arbeiten die Erlanger Forscher im Rahmen des prestigeträchtigen Advanced Grant "Graphenochem" des Europäischen Forschungsrats, den die Arbeitsgruppe von Professor Hirsch nach Erlangen holen konnte und der mit mehr als 1,4 Millionen Euro gefördert wird. Die Arbeitsgruppe erforscht darüber hinaus auch andere synthetische Kohlenstoffallotrope: zum Beispiel eindimensionale Nanoröhren, die einen Meilenstein im Bereich der Nanotechnologie darstellen, oder die sogenannten Fullerene. Das sind Kohlenstoffmoleküle, bei denen ein sphärisch geschlossenes Netzwerk von Kohlenstoff-Atomen vorliegt und die ihrer Form wegen auch Fussballmoleküle genannt werden.
Source: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg